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Das neue Gezwitscher – Wer oder was ist Twitter?

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von Christian Jakubetz, Geschäftsführer Imfeld Media

@twitternation: Komische Idee. Auf 140 Zeichen was sagen, was auch noch sinnig klingt. Ist Twitter also nicht mehr als ein geschwätziger Beitrag zu mehr Geschwätzigkeit in einer geschwätzigen Welt? #twitterdebatte

@analoge_medien: Ihr macht euch das zu einfach mit eurer Kritik. Ausführlichkeit ist kein Qualitätsmerkmal. #twitterdebatte

@alle: Wer oder was ist Twitter? Und was ist dieses komische Gitter hinter den Tweets?

In diesem Stil wird bei Twitter geschrieben. Ein Kurzmitteilungsdienst, der die einfachste Form der Textregulierung zum Prinzip erhoben hat. 140 Zeichen pro Mitteilung, keine Fotos, kein Drumherum. „What are you doing?“, war die grundsätzliche Frage, die sich Twitter zur Maxime gemacht hatte, und der Anspruch war gerade nicht: Verändern wir die Welt! Machen wir Journalismus, machen wir neue Medien! Die Idee war einfach: Jeder kann mit jedem in Echtzeit kommunizieren, es gibt keine Hierachien, keine hohen Zugangshürden, kein Multimedia. Einfach nur: Ich sage euch, was ich gerade tue, denke, sehe, fühle. Auf 140 Zeichen. Für eine minimale Momentaufnahme ist das Platz genug. Ein
Microblog, wenn man so will.

Das ist erst einmal ein Gedanke, den man nicht unbedingt aufregend finden muss, und viele taten es zunächst auch nicht. Twitter galt bis Ende 2008 in der Szene der Web-Residents mehr oder minder als ein nettes Gimmick, Microblogging war ein Trend, nicht mehr, nicht weniger. Dass Twittern für Medien Relevanz bekommen könnte, wurde vielen Journalisten erst vor Augen geführt, als Anfang 2009 ein Passagierflugzeug im New Yorker Hudson River notwassern musste – und die allererste Meldung darüber via Twitter lief. Ein Augenzeuge hatte die spektakuläre Landung verfolgt, einen Kurztext abgesetzt, ein Handyfoto hochgeladen. Schon war die erste mit Twitter generierte Kurznachricht in der Welt, die eben mehr war als einfach nur: „What are you doing?“ Sondern eine, die in diesem Moment die ganze Welt interessierte oder zumindest hätte interessieren können. Was in diversen Medienhäusern zu der nahe liegenden Überlegung führte, dass das Generieren von Nachrichten ja eigentlich ihr Metier sei, weswegen es eine gute Idee sein könnte, sich mit diesem Kurznachrichtendienst, den man kurz zuvor noch für eine ausgesprochene Schnatterplattform gehalten hatte, auseinanderzusetzen.

@nachrichtenredaktionen: Laufen Exklusivmeldungen künftig zuerst bei Twitter?

Erstaunlich war vor allem das Tempo, in dem man das tat. Plötzlich konnten auch große Online-Redaktionen gar nicht schnell genug Accounts eröffnen. Das Wort „Twitter“ wurde auf einmal Bestandteil von ganzen Kommunikationsstrategien und man möchte lieber erst gar nicht wissen, in wie vielen internen Powerpoint-Präsentationen plötzlich das markante twitterblaue Logo auftauchte. Gerüchte kursierten, dass klassische Medien plötzlich ihr De-facto-Monopol auf exklusive und schnelle Meldungen über das Weltgeschehen verlieren könnten. Und die, die schon länger einen Account hatten (heißt: vor New York) beeilten sich, genau dies zu versichern, nämlich, dass sie erfahrene Twitterer seien.

Dabei wäre es bis dahin den allermeisten Usern vermutlich eher egal gewesen, ob man aus der Redaktion X jetzt auch Tweets beziehen könne oder eben auch nicht. Verständlich allemal: Plötzlich hatte sich offensichtlich auch bei vielen bis dahin twitterlos lebenden Usern das unbestimmte Gefühl breitgemacht, etwas zu verpassen. Die Zahl der Accounts schoss rasant in die Höhe, monatlich überbot sich Twitter plötzlich mit Rekorden und traumhaften Zuwachsraten (zumindest was die Zahl der User anging, ein Geschäftsmodell war damit noch nicht verbunden). Und auch die Diskussion über den Kurzmitteilungsdienst bewegte sich plötzlich auf anderen Ebenen. Nicht mehr die Frage nach Geschwätzigkeit nicht wurde diskutiert, sondern nichts weniger als die grundsätzliche Bedeutung von Twitter für die weitere Entwicklung des Journalismus (und, im weiteren Sinne, der Kommunikation allgemein). Da werden sie gestaunt haben bei Twitter, als man sie plötzlich als ein neues Medium bewertete, in einer Reihe mit großen Konzernen, bedeutenden Journalisten und revolutionären Neuerungen!

Dabei gehört es zu den größeren Missverständnissen in diesem Zusammenhang, Twitter als ein Medium zu bezeichnen. Da könnte man genauso gut behaupten, eine Schreibmaschine sei auch ein Medium. Tatsächlich ist Twitter eine wunderbare Möglichkeit, schnell und umstandslos miteinander zu kommunizieren und zu interagieren, gegebenenfalls auch zu publizieren. Wenn man so will, ist Twitter also eine mikroskopische Quintessenz des neuen, digitalen Medienzeitalters. Eine Mischung aus Medium, sozialem Netzwerk, Chat, Forum, Newskanal, was auch immer man will.

Was dort geplauscht, getratscht, diskutiert wird, ist sehr häufig ein Abbild des richtigen Lebens, was zur Folge hat, dass jegliche Kritik am Gezwitscher immer auch ein Stück Kulturkritik wäre. Manches ist brillant, witzig, intelligent, hintergründig, nachdenkenswert, informativ, lehrreich. Anderes ist primitiv, dumm, abstoßend. Vieles ist belanglos, manchmal langweilig, manchmal nett, in jedem Fall unwichtig, gezwitscherte Fußnoten des täglichen Lebens. Neu ist das in dieser Mischung nicht; neu ist lediglich, dass dieser Mix jetzt auch nachzu-lesen ist. Wer sich darüber aufregt, regt sich möglicherweise auch im echten Leben über Belanglosigkeiten auf.

@neueinsteiger: Twitter ist für jeden was anderes. Du bist Twitter.

Dabei – und das ist möglicherweise einer der ganz entscheidenden Aspekte an Twitter – ist die Seite für jeden etwas anderes. Twitter erwacht erst durch das Abonnieren einzelner Feeds zum Leben, eine wie auch immer geartete Basisversion gibt es nicht. Nicht also das – vermeintliche – Medium bietet Inhalte, die dann der einzelne User noch personalisieren kann. Vielmehr macht sich der Nutzer sein Twitter selber, er schafft sich seine eigene Realität. Medien sind für jeden etwas anderes – im Zeichen sich radikal fragmentierender Medienmärkte ist Twitter auch in dieser Hinsicht möglicherweise eine Mikroquintessenz.

Die inzwischen viel gestellte Frage, ob man twittern, bloggen, facebooken müsse, lässt sich angesichts dessen leicht beantworten: Man kann, wie man weiß, nicht nicht kommunizieren. Wo man dies tut, wie man dies tut, ist so individuell, wie die Märkte fragmentiert sind. Niemand muss twittern. Kein Mensch muss bloggen. Und es gibt – falls man sich entscheidet, es dennoch zu tun – keine Garantie, dass dies von Erfolg gekrönt sein wird. Nur weil man twittert, ist man vor einem veritablen Kommunikationsdesaster nicht geschützt. Umgekehrt spricht natürlich nichts dagegen, es zu tun, man muss nicht viel lernen und planen vorher, man sollte sich nur darüber im Klaren sein, dass man irgendetwas haben sollte, was man zu sagen hat, sonst lohnt nicht einmal dieser Minimalaufwand. Aber auch das ist im richtigen Leben ja nun auch nicht sehr viel anders.


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